Volle Deckung!


Wer kennt sie nicht, diese unangehmen Momente im Leben eines Schülers, wo man am liebsten ein klitzekleines Käferchen oder noch besser gleich völlig unsichtbar sein möchte?

Jene gefürchteten Augenblicke, in denen

  • der Pauker sein Notenbuch für die mündliche Abfrage zückt,

  • er zum Vorrechnen an der Tafel ein Opfer für die Monstergleichung sucht,

  • er nach einem Kandidaten für eine lästige Sonderaufgabe fahndet,

  • er ein lebendes Demonstrationsobjekt für ein bedenkliches Chemie- oder Biologieexperiment benötigt,

  • er jemandem zum Vortragen eines zungenbrecherischen Fremdsprachen-textes oder eines schwülstigen Liebesgedichtes von anno dazumal braucht,

  • usw. ?

    Gut, wenn du dann die entsprechenden Tricks kennst, mit denen du die Wahrscheinlichkeit, in den sauren Apfel beißen zu müssen, möglichst gering halten kannst! Achtung, bei manchen Tipps handelt es sich um Langzeitstrategien, deren Erfolg frühzeitiges Handeln erfordert!


    So gehst du am besten vor dem suchenden Lehrerblick in Deckung:

    "Die ersten werden die letzten sein!"

    Jedes Jahr das gleiche Schauspiel: Am ersten Schultag und in den ersten Stunden in den Fachräumen setzt wie auf Knopfdruck das Gerangel um die vermeintlich besten Plätze ein. In Schüleraugen sind das die in größtmöglicher Entfernung zu Pult und Tafel. Wie die Lemminge stürzen sich alle Schüler auf die letzte Reihe. Und lachen zu unrecht diejenigen aus, die in die allererste Reihe "müssen". Zu unrecht, weil sie keine Ahnung haben, dass die Plätze ganz vorne in Wirklichkeit die besten sind. Denn in seinem Bemühen, stets die "Knilche von der letzten Bank" im Blick zu behalten, "übersieht" der Lehrer im wahrsten Sinne des Wortes die Schüler, die genau vor seiner Nase sitzen.


    "Schau ihm in die Augen, Kleiner!"

    Kaum kündigt der Lehrer eine Abfrage oder sonst eine lästige Aufgabe an, wenden sofort alle möglichen Opfer ihren Blick ab und vertiefen sich angestrengt in ihr Heft oder Buch. In dem Irrglauben, der Kelch würde an ihnen dank dieses durchsichtigen Manövers vorüber gehen. Doch die Lehrer kennen ihre Pappenheimer und wissen ganz genau, dass sich hinter diesem vorgetäuschten Arbeitseifer blanke Angst und Unwissenheit verbergen. Klar, dass sie lieber solch einen Unglückswurm dran nehmen als einen souverän wirkenden Schüler, der den Blickkontakt mit ihnen nicht scheut!


    "Keine Bewegung!"


    Eine noch verhängnisvollere Fehlreaktion als das prompte Wegschauen besteht darin, die Ankündigung des Lehrers mit einer plötzlichen, heftigen Bewegung zu erwidern: in der Tasche kramen, etwas unter der Bank suchen, etwas in den Ranzen stecken usw. Im Einheitsschlafwagen Klassenzimmer wirkt die kleinste Bewegung auf den Lehrer wie eine gigantische Aktion und fesselt seine Aufmerksamkeit. Und der freiwillige Hektiker steht dann nicht selten unfreiwillig im Rampenlicht...


    "Such dir die Guten!"

    Leistungsstarke Schüler als Banknachbarn bieten dir gleich zwei Vorteile: Erstens kommst du in ihrer Wissen ausstrahlenden und selbstsicheren Nähe selbst weniger dran, weil sich das Augenmerk des Lehrers verstärkt auf die "Schwachen" richtet. Und zweitens bist du nicht auf verlorenem Posten, wenn es dich doch mal treffen sollte, weil der Primus dir garantiert richtig einsagen kann...


    "Tauch unter im Heer der Uniformierten!"

    Was ist der Unterschied zwischen einem graubraunen Spatz und einem bunten Papagei? Die schillernden Farben des Zweiten fallen mehr auf und wecken das Interesse das Betrachters. Übertragen auf die Klasse heißt das für dich, dich möglichst so wie alle anderen anzuziehen, anstatt den schrillen Vogel markieren zu wollen. Grüne Haare, megahippe Klamotten und gewagte Outfits bescheren dir zwar die Anerkennung deiner Mitschüler, katapultieren dich aber auch immer in den ungeliebten Sucher eures Paukers! Mitunter kann weniger durchaus mehr sein...


    "Halte dich von den Entertainern fern!"

    Jede Klasse hat sie, ihre Entertainer, ob gewollte oder ungewollte. Die Schüler, die ständig im Mittelpunkt stehen und die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen (wollen). Durch lustige Kommentare und Grimassen, durch demonstrative Faulheit und Unlust, durch kleine Show-Einlagen u.ä. Allesamt todsichere Methoden, ihr Publikum, will heißen ihre Mitschüler, im gleichen Maße zu unterhalten wie den Dompteur der Meute in Rage zu bringen und zu einem Kampf herauszufordern. Den der Spaßmacher im Ernstfall natürlich verliert. Je näher du bei einem derartigen Exemplar sitzt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, "mit"-aufzufallen. Und dann heißt es "mithgehangen, mitgefangen". Ungerecht, aber Tatsache.


    © 2000 Anja Gerstberger, Bilder: © Corel Gallery Magic und MacMillan Inc., verwendet in Lizenz