Die heimlichen 10 Gebote

Du brauchst jetzt keine Angst zu haben, dass ich jetzt missionarisch tätig werde und euch zum rechten Glauben bekehren will! Ob und wenn ja, welcher Religion jemand angehört, ist meiner Meinung nach dessen Privatangelegenheit, in die sich kein anderer einzmischen hat.

Nein, worum es mir in diesem Beitrag geht, ist der Umstand, dass in unserer Gesellschaft etliche "ungeschriebene" Gebote im Umlauf zu sein scheinen, denen sich das Volk, mag man den Medien glauben, unbedingt zu unterwerfen hat, um ein glückliches Leben führen zu können.

Haben bereits die Erwachsenen so ihre Probleme damit, entweder selbstbewusst über diesen vorgegaukelten "Scheinvorschriften" zu stehen bzw. deren Druck auszuhalten, so fällt es den Jugendlichen erst recht schwer, ihren eigenen Weg zu gehen und sich diesem gesellschaftlichen Zwängen zu entziehen.

Gefühle fahren Achterbahn, der Körper verändert sich auf dramatische Weise und die Anforderungen in Schule und Beruf werden immer größer.

Längst ist die ehemalige Unbeschwertheit der Kindheit vorbei und hat dem Ernst der Erwachsenenwelt Platz gemacht bzw. bietet einen Vorgeschmack darauf, auf das, was einem jungen Menschen noch so alles bevorstehen wird. Dass das Erwachsensein kein Zuckerschlecken wird, hat ein Teenager bald gelernt.

Kein Wunder, dass er als quasi "unfertiger" Mensch, der sich noch mitten in seiner persönlichen Entwicklung befindet, mit Verunsicherung, einem gewissen Maß an Hilflosigkeit und blindem "Glauben" auf gesellschaftliche Vorgaben reagiert.

Darum habe ich ja auch diesen Artikel geschrieben. Damit du dir klar machst, dass das, was die Welt um dich herum dir einzureden versucht, eben nicht der Weisheit letzter Schluss ist und schon gar nicht ein Regelwerk, dem jeder folgen muss!

Ich wünsche dir, dass es dir gelingt, dich in der Zukunft aus den Klauen des einen oder anderen der unten beschriebenen Gebote zu befreien.

Wenn du das schaffst, wirst du von alleine merken, dass hinter diesen Ansprüchen nur Schall und Rauch steckt und du sehr wohl auch auf andere Art und Weise ein zufriedenes Leben führen kannst.

Viel Glück!


1. Du musst umwerfend aussehen!

Muskelbepackt wie Arnie und verführerisch wie Laetitia Casta. Sonnengebräunt, faltenlos, allzeit topgestylt. Frisch dem Titelblatt einer Hochglanzillustrierten entsprungen. Gutes Aussehen sind Voraussetzung für beruflichen Erfolg und Glück in der Liebe. Schein statt Sein. Mittlerweile lebt ein kompletter Wirtschaftszweig von diesm Körperkult und Jugendlichkeitswahn. Und reibt sich die Hände, wenn Lolitas wie Britney Spears oder alternde Divas wie ... (der Fairness halber schweigen wir an dieser Stelle) ihre Geschlechtsgenossinnen ebenfalls zu Schönheitsoperationen anspornen...


2. Du sollst immer gute Laune haben!

Yeah, das Leben ist eine endlose Party mit viel Fun und Gaudi nonstop! Griesgrämige Gesichter und Trauerklöße stören nur unser locker-leichtes Dasein. Weg mit Leidensmienen, Sorgenfalten und Tränen! Spaß ist angesagt! Wer sich auch vor andern Leuten seinem Kummer und Problemen hingibt, outet sich als jämmerlicher Schwächling und absolutes Weichei. Mit solchen Spielverderbern wollen wir aber nun wirklich nichts zu tun haben...


3. Du sollst vor Selbstbewusstsein nur so strotzen!

Ich kann alles, ich weiß alles, ich schaffe alles, ich kriege alles, was ich will. Feinde mache ich platt, mühelos überspringe ich auch die höchste Hürde und zeige allen, wo´s lang geht. Ich bin besser als die mickrigen Würstchen um mich herum. Ich bin einfach toll! Und zeige das nach außen hin durch entsprechende Großmäuligkeit, supercoole Gesten, einschüchternde Arroganz und diverse Statussymbole...


4. Du sollst erfolgreich sein!

Ja, aber dein Erfolg muss auch für alle Leute sichtbar sein! Eine glückliche Familie zu haben, sein Leben einigermaßen im Griff zu haben, Schicksalsschläge wegzustecken oder sich seinen Mitmenschen gegenüber hilfsbereit zu zeigen, reichen da nicht aus. Erfolg muss man sehen. An der fetten Gehaltsabrechnung, am protzigen Auto, an den erklommenen Karrieresprossen, an den erworbenen Machtpositionen, an den gesammelten Sportpokalen usw.


5. Du musst viele coole Freunde haben!

Natürlich nur Möchtergern-Kleinstadt-VIPs, wichtige Honoratioren, Geschäftsleute, Sporthelden, Beautys. Erfolgsmenschen eben. Oder schräge Vögel und ausgeflippte Typen wie Künstler bzw. krasse Anti-Helden. Exotische Ausländer sind ebenfalls sehr schick. Ein paar Homosexuelle und Esoteriker dürfen auch dabei sein. Möglichst viele Freunde und möglichst beeindruckened, lautet die Devise. Und wer mit den ewig gleichen Normalos gerne zum Schwimmen geht oder Monopoly spielt, ist sowieso ein spießiger Langweiler...


6. Du musst in deiner Freizeit ausgefallenen Hobbys nachgehen!

Lesen, Faulenzen oder Musik hören zählen schon mal gar nicht zu den ernst zu nehmenden Hobbys! Beschäftigungen wie Handarbeiten, Heimwerken, Angeln, Basteln oder Sammeln sollte man lieber schamvoll verschweigen. Sport ist da schon besser. Vorausgesetzt, man betreibt nicht so eine 08/15-Disziplin wie Fußball, Tennis oder Schwimmen. Die sind nämlich nicht hip genug. Es muss schon mindestens Freeclimbing, Triathlon, Golf oder Gleitschirmfliegen sein. Oder Fitness, da kann man sich wenigstens schön vor den Spiegeln zur Schau stellen. Weitere akzeptable Hobbys wären da noch Musik (in einer Band spielen oder Saxophon ist lässig, Klavier schon weniger), Computer, Shoppen, Städtetrips oder Reptilien...


7. Du musst ständig auf Achse sein!

Immer das Gleiche mit den immer gleichen Leuten in den immer gleichen Örtlichkeiten ist verpönt. Couchpotatoes und stille (Buch-, Musik-, Gespräche.mit-Freunden-) Genießer sind uninteressante Langweiler und Lebensmuffel. Action ist angesagt. Nach der Arbeit auf die Piste, verplante Wochenenden, volle Terminkalender, Abklappern sämtlicher Szenekneipen und Events, Spontanveranstaltungen jeder Art (Mal eben cool zum Kaffe trinken an den Gardasee fahren) und - ganz wichtig! - bloß keine Wiederholungen! Schließlich muss man ja immer etwas Neues zu erzählen haben...


8. Du darfst nicht allein sein!

Wer heutzutage noch freiwillig als Single herumläuft, mit dem stimmt was nicht, der kann nicht normal sein, der hat ´ne Macke. Allein bist du ein Niemand, als zweite Hälfte von XY sehr wohl. Paarweises Auftreten ist gefragt. Sonst bleiben die Einladungen bald aus, denn welcher kluge Gastgeber will schon fünfte Räder am Wagen auf seiner Feier begrüßen oder gar lüsterne, paarungswillige Solisten auf die glücklichen Pärchen loslassen?


9. Dein Partner muss alle bisherigen Punkte erfüllen und ihr eure wahnsinnige Verliebtheit der Welt ständig zeigen

Nee, nee, einen Partner vorführen zu können, praktisch als Beweis für den eigenen Marktwert, reicht allein noch nicht aus, das muss schon ein ausgemachtes Traum-exemplar sein, der sämtlichen gesellschaftlichen Ansprüchen (vgl. Punkte 1 mit 7) genügt! Um den dich die Konkurrenz glühend beneidet, eine regelrechte Trophäe!

Als glaubwürdiger Beleg für eure einzigartige Beziehung und unermesslich tiefen Gefühle knutscht ihr in der Öffentlichkeit herum, was das Zeug hält! Dauerhändchenhalten, Schmachtblicke, besitzergreifende Gesten und rührende Zärtlichkeiten im Minutentakt sind das Minimum. Und der beeindruckende Rest lässt sich dem neugierigen Publikum schließlich in den schillerndsten Farben erzählen...


10. Du musst dich dem Zeitgeist anpassen und trendy sein!

Klappt optisch wunderbar mit der Trendfrisur und der aktuellen Mode. Was morgen klamottenmäßig up to date sein wird, hatten wir bereits gestern am Leib. Immer am Puls der Zeit, immer auf der Überholspur. In-Listen ringen uns ein müdes Lächeln ab, weil sie bei uns längst schon wieder out sind. Wir sind stets darüber informiert, wer der Promis gerade mit wem wo und warum was tut. Stürzt sich das Volk an Gummiseilen in die Tiefe, sind wir unter den ersten Nachahmern. Die als Geheimtipp anvertrauten Lokal- und Veranstaltungsempfehlungen kennen wir schon lange. Wir machen jedes Revival, jede Zeitgeistströmung mit, mögen sie auch noch so verrückt sein. Tabus und Zögern sind uns fremd, eine eigene Persönlichkeit leider auch...



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