Das Phänomen Talkshow

oder einige kritische Gedanken zur Flut der Quasselrunden

All überall auf den Fernsehkanälen das gleiche Bild:

Mehr oder weniger sympathische Menschen sitzen beisammen und unterhalten sich. Dabei gibt es dann einen oder mehrere Chefs, die mit schlauen Fragen das Gespräch in Gang halten bzw. vorantreiben. Dieses Geplauder besitzt einen so enormen Unterhaltungswert, dass es im Fernsehen ausgestrahlt wird. Damit der Rest der Menschheit, der leider nicht live dabei sein kann, auch ja nichts verpasst.

Das Ganze nennt man dann Talkshows und eben jene Quasselrunden sind bei den Zuschauern sehr beliebt. Das verraten die hohen Einschaltquoten und weil die Fernsehmacher hohe Einschaltquoten lieben, produzieren sie immer neue Sendungen nach dem oben beschriebenen Konzept. Damit auch wirklich jeder Zuschauer die Möglichkeit hat, in den Genuss einer Talkshow zu kommen.

Egal zu welcher Tageszeit. Oder Nachtzeit.

Ob am morgens, nachmittags, abends oder auch nachts. Kaum eine Stunde, in der keine Talkshow über den Bildschirm flimmert. Wenn nicht live, dann zumindest aufgezeichnet oder in Wiederholungen.

Rein unternehmerisch sind Talkshows der absolute Knüller, eine Goldgrube für die Sender. Eine gelungene Idee, die in der Herstellung nicht kostet, aber riesige Werbegewinne einfährt. So leicht und doch so erfolgreich. Wirklich genial.

Für mich sind Talkshows einfach ein faszinierendes Phänomen.

Und zwar deswegen, weil ich partout nicht begreifen kann, wie solch schlechte Unterhaltung eine dermaßen begeisterte Fangemeinde gewinnen kann.

Auch wenn die meisten Leute es nie zugeben würden, dass sie gerne Talkshows anschauen (weil sie sich schämen? Dann stellt sich die Frage wofür? Weil sie sich im Grunde sehr wohl bewusst sind, wie primitiv diese Sendungen sind?), irgendwo müssen ja die tollen Quoten herkommen.

Nach dem Motto "Leben und leben lassen" gönne ich den Talkshow-Fans durchaus ihr Vergnügen, nur für mich schrammt diese angebliche Unterhaltung verdammt scharf an allgemeiner Volksverblödung vorbei.

Warum dies harte Urteil?

Schau dir doch mal eine dieser Talkshows an. Möglichst objektiv.

Das habe ich auch tun müssen, und sogar mehrmals, denn sonst hätte ich ja diesen Beitrag nicht schreiben können.


Es geht doch schon bei den Titeln los: "Meine Tochter geht auf den Strich". "Ossis können nicht Auto fahren." "Unser Pfarrer ist schwul". "Zum 14. Geburtstag wünsche ich mir eine neue Nase".

Das hat mit unserer gesellschaftlichen Realität wohl herzlich wenig zu tun.

Bekommt aber eine unangemessen große Öffentlichkeit geboten. Und die Kinder, die am Nachmittag diesen Quatsch angucken, halten das für ganz normal und echt.

Was es aber nicht ist!!! Da werden exotische Randthemen als normaler Alltag verkauft, was ich offen gesagt ziemlich besch... finde.

Weil die Zuschauer für blöd verkauft werden und sich angesichts der gezeigten Absurditäten wie graue Mäuse oder die spießigsten Langweiler auf dem Planeten vorkommen müssen. Und das hat niemand verdient, selbst nicht der genügsame Talkshow-Fan.

Und sind die Themen dann tatsächlich "normal", dann muss ich ehrlich sagen, dass mich die Gewichtsprobleme, ungezogenen Kinder, untreuen Männer und Minderwertigkeitskomplexe eines leidenden verhärmten Hascherl aus einem winzigen Dorf am anderen Ende Deutschlands herzlich wenig interessieren. Ich bin froh, wenn ich selbst davon verschont bleibe.

Hört sich das jetzt herzlos und egoistisch an?

Ist mir egal. Ich nenne meine Einstellung eben einen gesunden Selbstschutz.

Außer der unmöglichen Themenwahl stört mich noch das inzwischen so angesagte Konzept des "Konfrontations-Talks". Schönes Wort. Hört sich beinahe seriös an.

Doch die praktische Umsetzung dieses beeindruckenden Begriffes lässt einem Betrachter, der über eine gewöhnliche Schmerzschwelle verfügt, nur die Übelkeit hoch steigen.

Da werden Ehefrauen mit den Geliebten ihres Mannes konfrontiert, oder Stiefkinder stehen plötzlich ihrem leiblichen Vater gegenüber. Situationen, die an sich kaum erträglich für die Beteiligten sind und das Ganze noch in aller Öffentlichkeit! Nein danke.

Besonders beliebt und fies ist hierbei die Variante, die ahnungslosen Gäste vor vollendete Tatsachen zu stellen und sie mit einem meist verhassten Gegenüber zu "überraschen", vor dem sie sich in der Sendung in Sicherheit gewogen haben. Pustekuchen!

Was dann genau zu den Reaktionen führt, nach denen das Publikum anscheinend gierig lechzt: Tränen, wüste Beschimpfungen, Weinkrämpfe, Wegrennen, aufeinander Losgehen, körperliche Gewalt. Peinliche Ausraster der unterschiedlichsten Art, durch welche die überforderten Gäste bloß gestellt und das begeisterte (warum würde es sonst klatschen und johlen?) Publikum unterhalten werden. Was für Gesprächsstoff und Quote und damit für gute Einnahmen sorgt. Und die Verantwortlichen beim Sender reiben sich zufrieden die Hände.

Ich selbst könnte dabei kotzen.

So, jetzt habe ich doch tatsächlich ein Problem.

Wie ich nämlich nun nach meinem Geschimpfe möglichst elegant die Kurve kriege zu dem Geständnis, selber gerne Talkshows zu schauen.

Da staunst du, stimmt?

Ja, auch ich kann mich durchaus für Plauderrunden im Fernsehen erwärmen.

Allerdings nicht für die täglich ausgestrahlten sogenannten "Daily Talks", sondern für die Promi-Runden, die leider immer sehr spät gezeigt werden. So nach 22 oder 23 Uhr, wenn der normale Mensch, bei dem am nächsten Morgen um 6 der Wecker klingelt, eigentlich ans Zubettgehen denken sollte.

Warum ich diese Prominenten-Quasseleien gerne anschaue?

Weil sie erstens auf einem anderen Diskussionsniveau (keine Gossensprache, kein Gebrülle, Geplärre, einander ausreden lassen, sachlich, informativ ...) ablaufen und interessante Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben ungewohnte Seiten von sich präsentieren.

Da hatte ich schon so manches Aha-Erlebnis und nach einer solchen Sendung mein bisheriges Urteil über eine bestimmte Person zurecht rücken müssen. Vor allem Politiker habe ich plötzlich als "menschlich" und sympathisch kennen lernen dürfen. Oder weniger bekannte Prominente aus der zweiten Reihe: Wissenschaftler, Künstler Vertreter von Hilfsorganisationen usw.

Was ich mit diesem Beitrag zum Ausdruck bringen wollte:

Talkshows sind nicht grundsätzlich schlecht.

Sie sollten aber hinsichtlich ihrer Themen und ihres Ablaufs sorgfältig ausgewählt werden. Denn es ist immer noch der kritische Zuschauer, der mit dem Ausknopf schlechte Sendungen aus dem Programm werfen kann, so dass eines fernen Tages wirklich nur noch die "guten" übrig bleiben...

Nur ein Traum von mir?

© 2000 Anja Gerstberger